Transformationsprozesse im Dunkelretreat
Getrenntes verbinden – Wunden heilen – SEIN
Zusammenfassung:
Ein Dunkelretreat ist ein freiwilliger bewusster Rückzug in einen vollkommen abgedunkelten Raum, um sich auf eine innere Forschungsreise zwecks Selbst-Erfahrung und Erkenntnis der wahren Natur der Realität zu begeben.
Der Aufenthalt im Dunkelraum heilt und transformiert auf natürliche Weise die konditionierte Psyche und Physis durch tiefe Erkenntnisse, die durch Erfahrung gewonnen werden. Gleich einer Zwiebel wird alles, was dem konditionierten Ich bekannt ist und woran es festhält, schichtenweise aufgelöst. Parallel dazu wird die Kernenergie – das, was der Mensch im Innersten seines Wesens, in der Tiefe seines Herzens, ist –, wieder sichtbarer, fühlbarer und lebbarer.
Ein längerer Aufenthalt im Dunkelraum kann die Person über sich selbst hinauswachsen und die Menschlichkeit im Menschen zur vollen Reife erblühen lassen. Alle Ebenen (seelisch, mental, emotional, physisch) kommen in eine natürliche Ordnung. Das wahre Selbst kann mehr und mehr die Führung im Menschen übernehmen und eine friedlich seiende, mitfühlende und von bedingungsloser Liebe geprägte Realität erschaffen, die mit der übergeordneten kosmischen Ordnung im Einklang ist.
Einleitung
- „Ich mache anderen Vorwürfe, schreie meine Kinder an, argumentiere manipulativ von oben herab und verurteile mich selbst und andere.“
- „Statt das längst fällige Klärungsgespräch zu führen, ziehe ich mich ängstlich in mein Schneckenhaus zurück.“
- „Ich möchte mein Inneres Kind heilen.“
- „Ich habe schon so viel getan und komme einfach nicht an den Kern des Problems.“
- „Ich möchte wissen, wer ich bin und was meine Lebensaufgabe ist.“
- „Ich möchte den Sinn hinter meiner Krankheit erkennen.“
Die Liste ließe sich noch seitenweise fortsetzen. Menschen verschiedenster Berufs- und Altersgruppen traten in den letzten 20 Jahren an mich heran: Ärzte, Psychotherapeuten, Psychologen, Rechtsanwälte, Sachbearbeiter, Lehrer, Erzieher oder Ingenieure. Singles, Ehepaare, Mütter, Väter, Großeltern und Urgroßeltern. Eines verband sie alle: sie wollten nicht mehr so weiterleben, wie bisher. Sie fühlten sich innerlich getrennt, erschöpft und wussten um ihre emotionalen Wunden, die oft auch mehr oder weniger schmerzhafte Körpersymptome verursachten. Sie waren ratlos und frustriert und suchten nach einem Ausgang aus dem Hamsterrad sich wiederholender Verhaltensweisen und Krankheiten.
Doch gerade dieser innere Zustand beflügelte ihre Sehnsucht nach Veränderung. Über einen langen Weg des Suchens nach Heilung waren sie zu der Erkenntnis gelangt:
Die Lösung für meine Heilung liegt in mir!
Mit dieser Einsicht endet die (manchmal jahrzehntelange) Suche im Außen nach jemandem, der sie gesünder und glücklicher machen soll. Ein neuer Abschnitt beginnt – der Weg nach innen, zum Herzen, zur Seele, zum Wesenskern. Zu dem, was immer schon war, ist und sein wird: Zu etwas Unveränderlichem, Ewigem.
Einkehr im Dunkelretreat
Erwähne ich in Gesprächen, dass ich Menschen im Dunkelretreat begleite, findet meistens der gleiche Ablauf statt: Zuerst wird irritiert oder auch gänzlich unbefangen nachgefragt, was ein Dunkelretreat sei.
Was ist ein Dunkelretreat?
Dunkelretreat bedeutet, sich bewusst und freiwillig in die Dunkelheit zurückzuziehen. Das kann z. B. eine Höhle oder ein lichtundurchlässig abgedunkelter Raum sein. Alles Vertraute bleibt außen vor: Handy, Computer, Fernseher, DVD- oder CD-Player, Radio, Kühlschrank, Fitnessgeräte, Wecker, Uhr, Schmuck, Schminke und jeglicher Kontakt zu Angehörigen.
Der Aufenthalt im Dunkelraum ist eine Auszeit vom gewohnten Alltag und wird getragen von einer starken Sehnsucht, sich selbst tiefer zu erfahren und Antworten auf persönliche oder auf die großen Fragen der Menschheit zu erhalten: „Wer bin ich, wo komme ich her, warum bin ich hier?“ Es ist eine Zeit der Rück-Besinnung auf das Wesentliche. Ein Innehalten und Pausieren, in der sich Körper, Geist und Seele erholen und neu aufeinander beziehen können. Für mehrere Tage, Wochen oder Monate (die Dauer bestimmt jeder für sich) durchläuft der Mensch einen bewusstseinserweiternden Prozess – und begegnet dabei auf verschiedenen Stufen des Bewusstseins immer wieder sich selbst.
In der fernöstlichen Kultur widmen sich Mönche seit langem dieser Form der Innenschau. Tibetische Lamas beispielsweise verbleiben zwischen 49 Tagen bis 3 Jahren in der Dunkelheit. Manche Mönche durchlaufen diesen Prozess auch mehrmals in ihrem Leben, um ihren Wesenskern immer tiefer zu erfahren und sich mit ihrem Bewusstseinsschwerpunkt auf den höheren Seins-Ebenen zu verankern. Denn eine Erleuchtungserfahrung bedeutet nicht zugleich, die Qualitäten der höheren Bewusstseinsebenen auch zu verkörpern und im Alltag leben zu können.
Angst vor dem Dunkelraum
Schon während dieser allgemeinen Ausführungen kommt es bei meinem Gesprächspartner oft zu einer dieser beiden Reaktionen:
- Entweder schaut mich die Person ungläubig, mit ängstlichen Augen an und lehnt sich etwas zurück, als würde sie sich durch das Gehörte bedroht fühlen. Nach einer kurzen Pause werden aus dieser Sicherheitshaltung heraus weitere Fragen gestellt.
- Oder mein Gesprächspartner beugt sich, neugierig schauend, gespannt nach vorn und signalisiert sofort, mehr wissen zu wollen.
In den Gesprächen zeigt sich immer wieder, dass allein das Wort Dunkelretreat eine tieferliegende Angst berühren kann, die mit einer (oder mehreren) anderen, als schrecklich empfundenen, Situation aus der Vergangenheit verknüpft ist. Beispielsweise zur Strafe in einen muffigen Keller, eine dunkle Kammer oder ins Kinderzimmer gesperrt worden zu sein oder Erinnerungen an Aufenthalte im Luftschutzbunker. Dabei spielt es keine Rolle, ob die angstbesetzte Erfahrung in der Kindheit selbst gemacht oder ob darüber von den Eltern und Großeltern oder in der Schule lediglich gehört wurde.
Die Angst ist oft so groß, dass selbst die Möglichkeit, eine Dunkelraum-Erfahrung zu machen, strikt abgelehnt wird. Dabei richtet sich die Angst-Abwehr zunächst gegen den dunklen Raum. Im weiteren Gesprächsverlauf wird jedoch schnell klar, dass das Problem nicht der dunkle Raum ist, sondern die Angst vor einer überwältigenden Panik, die keinesfalls gefühlt werden möchte. Ebenso wird bewusst, wie einschränkend diese Angst ist und wie sie die Möglichkeit verhindert, die Angst über eine eigene Erfahrung mit der Realität im Dunkelraum abzugleichen und aufzulösen.
Faszination, Neugier und Angst liegen in solchen Gesprächen dicht beieinander.
Was geschieht im Dunkelraum?
Manche Menschen glauben, dass der Aufenthalt im Dunkelraum ohne Handy, Computer und Fernseher unglaublich langweilig sei. Doch dem, was ich bin, durch Erinnerung, Erkenntnis und Erfahrung auf die Spur zu kommen und in immer tiefere Seins-Ebenen einzutauchen, ist spannender als jeder Krimi.
Psychische Voraussetzungen
Da im Dunkelraum alles Sichtbare und sämtliche gewohnten Ablenkungen außen vor bleiben, wird ein im Dunkelretreat befindlicher Mensch ganz auf sich selbst zurückgeworfen.
Die Richtung der Aufmerksamkeit, die üblicherweise auf das Geschehen in der Außenwelt zeigt, kehrt sich durch das Fehlen äußerer Reize um und leuchtet zunehmend den Innenraum aus. Das kann dazu führen, dass auch längst vergessene traumatische Ereignisse aus der Kindheit, der Schwangerschaft oder noch weiter zurückliegenden Vergangenheit wieder in den Blick kommen. Es gilt dann, sich den mit den Erinnerungen verbundenen, oft schmerzhaften, Emotionen offenen Herzens zuzuwenden.
Unter der fürsorglich-liebevollen Zugewandtheit des reifen wissenden Erwachsenen-Ich können sich die emotional oft hoch aufgeladenen erinnerten Situationen entladen sowie neu verstanden, anders zugeordnet, geheilt und integriert werden.
Wer ein Dunkelretreat (auch Dunkeltherapie, Dunkelmeditation oder Dunkelyoga genannt) erwägt, sollte sich daher der möglichen psychischen wie physischen Herausforderungen bewusst sein und die Fähigkeit haben, mit starken Gefühlen und Körperempfindungen sein zu können. Psychische Stabilität und Erfahrungen in der Innenschau (z. B. durch Autogenes Training, Meditation, Kontemplation) erachte ich für hilfreich und wichtig.
Tagesablauf
Im Dunkelraum findet der gesamte Tagesablauf statt: schlafen, trinken, Toilettengang, Zähneputzen, baden oder duschen, Innenbetrachtungen und die Gespräche. 24 Stunden pro Dunkeltag erfährst du dich selbst – mit allen Höhen und Tiefen.
Die Dunkelheit ist wie eine Reiseführerin, die dich in immer umfassendere Bereiche führt. Deiner inneren Reife gemäß tauchst du in eine feinstoffliche Welt unterschiedlicher Graduierung ein. Du erkundest unbekanntes Land und lernst dich auf verschiedenen Ebenen tiefgründiger kennen. Das feine Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele ist dabei in immer höherer Auflösung beobachtbar.
Mit zunehmender Dunkelzeit verfeinert sich die Wahrnehmungsfähigkeit um ein Vielfaches, sodass auch die subtileren und subtilsten heiligen Seins-Dimensionen bewusst erfahrbar werden, die zuvor außerhalb des Bewusstseinshorizontes lagen. Bedeutungsvolle Erkenntnisse können sich offenbaren, die zu tieferen Einsichten führen. Das auf den eigenen Erfahrungen basierende Wissen kann derart wesentlich sein, dass sich das gesamte Weltbild ändert – und damit dein Denken, Fühlen und Handeln in der Welt.
Fasten
Sowohl in meinen eigenen Dunkelretreats als auch in der Begleitung von Dunkelprozessen anderer Menschen hat sich Fasten während der Dunkelzeit als sehr unterstützend erwiesen. Es fördert nicht nur die physische Entschlackung, sondern auch die Reinigung und Klärung der Psyche. Zum Beispiel werden sehr schnell blockierende Glaubenssätze und Vorurteile bewusst, wodurch sie wiederum änderbar sind. Wer bereits gefastet hat, weiß um die Stärkung der inneren Ordnung und um den Zugewinn an körperlicher Gesundheit und psychischer Stabilität.
Gespräche
Einmal pro Tag finden bei Bedarf Gespräche im Dunkelraum statt, um Fragen zu klären und sich Feedback über den inneren Prozess zu holen.
Für mich haben sich die Gespräche als enorm wichtig für den inneren Erkenntnis-, Heilungs- und Integrationsprozess erwiesen. Während ich vor allem in meinen ersten beiden Dunkelretreats oft nicht wusste, an welchem Punkt der Landkarte ich mich innerhalb meines Prozesses befand, war das für meine fachlich kompetenten Begleiter leicht ersichtlich. Ihr Feedback ermöglichte mir, die
- Gedanken,
- Gefühle,
- Körperempfindungen,
- inneren Bilder oder
- Träume zuordnen
zu können. Das wiederum half mir, mich selbst besser oder überhaupt zu verstehen. Ohne Erfahrung auf diesem Gebiet kann das schwierig bis unmöglich sein. Wenn die innere Landkarte zu viele weiße (unbewusste) Puzzlestücke enthält, kann das Gesamtbild nicht oder nur sehr schwer erkannt werden. Es mag merkwürdig klingen, aber es ist, als befinde man sich in sich selbst an einem unbekannten Ort, nicht wissend, wie dieser heißt und welche Gesetze dort vorherrschend sind.
Der Weg nach Innen
Meiner Erfahrung nach entfaltet sich im Dunkelretreat ein natürlicher Prozess der Verinnerlichung. Stufe um Stufe geht es im individuellen Rhythmus tiefer, dem Ruf des Herzens gleich einer inneren Führung folgend. Im inneren Universum kann eine große Bandbreite erfahren werden:
- feinstoffliche dichte dunkle Bereiche
- subtile bis subtilste lichtvolle Emanationen
- non-duales reines Bewusst-Sein
Gotteserfahrungen sind Gnade
Viele Menschen, die es in ein Dunkelretreat zieht, wollen Gotteserfahrungen machen. Doch so sehr diese auch erwünscht werden, sie sind nicht planbar, sondern Gnade. Es können jedoch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, indem das innere Haus gereinigt und von Altlasten entleert wird. Insbesondere der Keller ist oft voll mit Dingen, an denen aus den verschiedensten Gründen, die in der unverarbeiteten Vergangenheit liegen, festgehalten wird. Sich davon zu lösen und die mit dem Lösungsprozess verbundenen Erkenntnis-, Heilungs- und Integrations-Prozesse auf der mentalen, emotionalen und physischen Ebene zu durchlaufen, liegt in der eigenen Verantwortung. Barmherzigkeit ist es, wenn ER dann im gewonnenen Freiraum Platz nimmt.
Obwohl eine Gotteserfahrung Gnade ist, beobachte ich in den Dunkelretreat-Begleitungen, dass ein bewussterer Mensch die unterschiedlichen Stadien der Vertiefung leichter durchläuft. So, als würde der geläuterte Mensch geradewegs in die heiligen Dimensionen eintauchen können, da der Weg bereits frei(er) von Hindernissen ist. Gnade und eigenes Tun scheinen dabei in der Art zusammenzuwirken, dass tiefe Gotteserfahrungen möglich werden, ohne sie gewünscht oder gar erwartet zu haben.
Aufräumen des inneren Hauses
Die Dunkelheit gleicht einer Meisterin mit großer Heilkraft. Im Licht ihrer Klarheit scheint die göttliche Ordnung auf, infolgedessen alles bewusst werden kann, was nicht im Einklang damit ist.
Unbewusste Prägungsmuster, die, bildlich gesprochen, in den unteren Etagen (Kindheit) des inneren Hauses gespeichert sind, treten in der Dunkelheit intensiver hervor und sind dadurch leichter ersichtlich. Sie zeigen sich in Form von Gedanken, Gefühlen, Körperempfindungen, Bildern, Erinnerungen und über Träume. In der heilsamen Dunkelatmosphäre können die verbalen und non-verbalen energetischen Botschaften, die in der Kindheit innerhalb der Herkunftsfamilie vermittelt wurden und die zu blockierenden Denk-, Fühl- und Handlungsmustern geführt haben, vom Bewusstsein des reifen Erwachsenen-Ich gefühlt, erinnert, erkannt, benannt, differenziert und zum eigenen Wohl verändert werden.
Wurde die Lektion der jeweiligen Ebene, auf der sich ein Mensch in seiner Persönlichkeitsentwicklung befindet, gemeistert, kann er/sie das Tor in die nächste Dimension passieren. Es ist, als würde auf der vorherigen Stufe die Qualifikation für die nächsthöhere erworben. Wer das Examen nicht besteht, wechselt meist den Raum, bleibt jedoch auf der gleichen Etage und erhält unzählige weitere Lernmöglichkeiten, bis die Reifeprüfung für das nächste Level bestanden wurde. Wer prüft? Der tiefste Platz im Herzen, mit unfehlbarer Präzision und Wahrhaftigkeit.
Innere Schutzmauern
Der Weg nach Innen kann als eine Metapher betrachtet werden. Denn DAS, was unzählige Menschen suchen und begehren, ist immer da. Wenn wir uns davon getrennt haben, kann DAS weder gefühlt noch dessen Qualitäten gelebt werden. ES scheint tief in uns verborgen, so, als würde ein Licht im Zentrum unseres Herzens leuchten, das von einer mehr oder weniger starken Schutzmauer umgeben ist. Diese wurde in Zeiten der Kindheit aus guten Gründen (unbewusst) errichtet. Um unsere innere Natur fühlen und leben zu können, braucht es den Abbau der Mauer. Das wiederum bedeutet, einen psychisch-physischen Heilungsprozess zu durchlaufen, der Willen, Mut zu Neuem und Geduld braucht. Daher erscheint der Prozess zu Beginn wie ein Weg.
Anerkennen, was ist
Was auch immer auf dem Weg nach Innen an Körperempfindungen, Gefühlen, Gedanken, Bildern, Erinnerungen oder Träumen auftaucht – es gilt in einem ersten Schritt, anzuerkennen, was ist. Das fällt oft schwer, da das Ego (konditionierter Verstand nebst gekoppelten Emotionen) es früher oder später immer anders haben möchte, als es gerade ist. Insbesondere dann, wenn emotional stark belastete, persönliche und/oder kollektive Themen aus der Tiefe des Unterbewusstseins an die Oberfläche steigen wollen.
Der Widerstand kann dabei als Orientierung dienen, um zu erkennen, wer innerhalb der eigenen Persönlichkeit die Führung innehat und wo es in einem zweiten Schritt seitens des reifen Erwachsenen-Ich eine weise, liebevolle Hinwendung braucht, um die seelisch-emotionalen Verletzungen zu heilen. Dann erübrigt sich jede weitere Anstrengung für deren weitere Verdrängung.
Dieser Prozess kommt einer bewussten Umprogrammierung oder Neuverschaltung im Gehirn gleich, weshalb er eine gewisse Zeit dauert, um nachhaltig, also verkörpert, zu sein. Ich würde sagen, es ist keine geringere Herausforderung als die, das Stammhirn zu meistern, das entwicklungsgeschichtlich dem Menschen mit seinen einfachen und zugleich sehr wirksamen Schutz- und Abwehrmechanismen
- Angriff,
- Flucht,
- Erstarren
das Überleben gesichert hat. Das wäre aus meiner Sicht der nächste Entwicklungsschritt, der für die Menschheit ansteht und den es braucht, um die globalen Probleme, die wir durch unser Handeln geschaffen haben, bewältigen und wandeln zu können. Das bedeutet, an den Stellen, wo wir aus unbewussten Existenzängsten (unverarbeitetes Trauma) heraus handeln, zu einem bewussten, herzgeleiteten Handeln zu kommen. Die höheren Werte und Tugenden wie bedingungslose Liebe, Güte, Wahrheit und innerer Frieden dienen dabei als Leitbild.
Die folgenden Beschreibungen und Zuordnungen der Phänomene zu bestimmten Zeiträumen des Dunkelprozesses betrachte ich als eine sehr grobe Einteilung, die auf meinen bisherigen Erfahrungen und Beobachtungen basiert. Zu welchem Zeitpunkt welche Phänomene auftreten – und was letztendlich im Dunkelretreat erfahren wird –, kann jedoch nicht vorausgesagt werden und hängt vom inneren Entwicklungs- und Bewusstseinsstand der Person ab.
Häufige Phänomene/Transformationsprozesse im Dunkelretreat
Obwohl jedes Dunkelretreat anders abläuft, gibt es einige Erscheinungen, die sehr häufig auftreten. Diese sind im Folgenden erwähnt.
1. – 3. Dunkeltag
Für die körperlich-psychische Umstellung vom Alltag auf die Dunkelheit braucht es manchmal mehrere Tage. Anfangs wird viel geschlafen, vor allem, wenn die Menschen sehr erschöpft sind und sich gestresst fühlen, was die Frage nach der Ursache für diese Symptome aufwirft. Da im Dunkelretreat die äußeren Verpflichtungen wegfallen, ist, ähnlich wie im Urlaub, mehr Raum vorhanden für Erholung und Schlaf. Das kann als sehr wohltuend erfahren werden, wenn es die innere Erlaubnis dazu gibt, oder auch als stressig, wenn der Mensch voller Erwartungen und Forderungen sich selbst gegenüber steckt und meint, im Dunkelraum etwas erreichen oder schaffen zu müssen.
Während der Wachphasen wird meistens schnell bewusst, wie stark der konditionierte Verstand mit Nachdenken über vergangene oder zukünftige Ereignisse beschäftigt ist. Wirklich präsent im Hier und Jetzt zu sein, fällt in den ersten Tagen oft schwer. Der „Affen-Mind“ (was für eine genial zutreffende Bezeichnung, die ich in buddhistischen Lehren las) springt hierhin und dorthin und zeigt die Unverbundenheit zwischen Denken und Fühlen auf. Nachdenken ist dem Denken nachgeordnet – daher könnte es einfach weggelassen werden. Doch genau das ist dem konditionierten Verstand nicht möglich. Er zieht seine Energie daraus und lebt davon und blockiert den weiteren Vertiefungsprozess. Diese Phase wird oft als schwer empfunden und muss gemeistert werden, um in tiefere Seins-Ebenen sinken zu können.
Das physische Sehen-Wollen tritt in den Hintergrund; die Orientierung fällt leicht. Fühlen, Achtsamkeit und Wahrnehmung nehmen zu. Daher wird das Dunkelretreat als eine sehr hilfreiche Achtsamkeits-, Wahrnehmungs- und Bewusstseins-Schulung geschätzt.
Oft werden schon ab der zweiten oder dritten Nacht Träume bewusst, die sehr klare Hinweise auf im Unterbewusstsein wirkende Blockaden geben.
3. – 6. Dunkeltag
Die Alltagsgedanken verlieren zunehmend an Bedeutung, sodass mehr Ruhe im Kopf und damit im gesamten Menschen einkehrt.
Körperliche, emotionale und mentale Prozesse und ihre gegenseitigen Wechselwirkungen können präziser differenziert und manchmal überhaupt zum ersten Mal im Leben benannt und beschrieben werden. Die konditionierten Gedanken- und Gefühlsmuster und der damit verbundene, selbst verursachte Stress werden deutlich bewusst, da die üblichen Projektionspartner im Dunkelraum fehlen. Die Menschen sind betroffen und zugleich erleichtert, wenn sie erkennen, dass der Stress im Leben nicht den äußeren Umständen geschuldet ist, sondern dem konditionierten Denken und den damit verbundenen Emotionen.
Erkenntnisse, die für die Person einen tieferen Sinn ergeben, ermöglichen ein umfassenderes Verständnis für den bisherigen Lebensweg und warum bestimmte Dinge im Leben so und nicht anders gelaufen sind. Beispielsweise die Erkenntnis, wie die Ereignisse im Leben (unbewusst) kreiert worden sind. Die Einsichten und das mit jedem Dunkeltag zunehmende Selbst-Verständnis wird als große Erleichterung und Befreiung erfahren.
Kann die Botschaft vorhandener Körpersymptome nicht erfasst werden, verstärken sie sich, bis ihr Sinn klar wird und die zugehörigen bislang verdrängten Gefühle wieder gefühlt und integriert worden sind. Danach tritt eine große Entlastung ein, begleitet von tiefer Freude und Dankbarkeit. Innerer Druck und körperliche Symptome lassen nach oder lösen sich vollständig auf. Je nach Tiefe der Erfahrung kann sich die Sicht auf Krankheit und Heilung vollständig ändern. Ich bin jedes Mal sehr beeindruckt, wie durch die fehlenden Außenreize und das stetige Mit-sich-Sein ein umfassender Erkenntnis-, Klärungs- und Heilungsprozess auf allen Ebenen (seelisch, mental, emotional, physisch) von innen heraus in Gang kommt und auf eine natürliche Weise vollzogen wird.
Mehr oder weniger starke kurzdauernde Lichterfahrungen treten auf. Tiefere Sinnfragen wie „Wer bin ich, wo komme ich her, warum bin hier?“ bewegen den Menschen zunehmend.
Achtsamkeit und Wahrnehmung erhöhen sich weiter. Die Menschen sind ruhiger, klarer, zentrierter und fühlen sich tiefer im Körper angekommen. Das spiegelt sich in ihrer Art zu sprechen, im Tonfall der Stimme und in ihrer Selbstwahrnehmung wider.
Die zunehmende Ruhe kann sich mit starken Gedankenströmen abwechseln, oft begleitet mit starker kreativer Energie und einem Gefühl von intensiver Lebendigkeit. Das ist zu unterscheiden vom Affen-Mind am Anfang des Retreats.
Die Intensität der Träume nimmt zu; tieferliegende unbewusste Inhalte (Trauma) können ins Wachbewusstsein kommen sowie verarbeitet und integriert werden. Die Gespräche zwecks Orientierung, Impulse und Klärung der inneren Prozesse werden in der ersten Dunkel-Woche als sehr wichtig eingeschätzt.
Die feingeistigen Sinne schärfen sich, was sich in beginnendem Hellhören, Hellsehen, Hellfühlen oder Hellschmecken zeigen kann.
7. – 12. Dunkeltag
Die zunehmende Verinnerlichung führt zu einem höheren Bewusstseinszustand und geht, je nach Tiefe, mit verschiedenen Erfahrungen einher. Beispielsweise sich als „Ich-Bin“ und/oder jenseits des Raum- und Zeitgefüges in grenzenloser Weite wahrzunehmen. Die Trauminhalte ändern sich; der empfundene Grad der Dunkelheit vertieft sich. Visuelle Erfahrungen werden häufiger und intensiver. Es kommt zu einer inneren Verlangsamung, als würde das Nervensystem, je nach vorherigem Grundzustand, mehrere Gänge herunterschalten. Das wird als sehr erholsam und heilsam empfunden. Innerlich werden mehr Weite und mehr Raum wahrgenommen, sodass es zu Aussagen wie z. B. „Ich bekomme mehr Luft“ oder „Ich kann tiefer durchatmen“ oder „Ich fühle mich größer“ kommt.
Zugleich kann es auf der persönlichen Ebene nach wie vor um die Integration und Heilung seelisch-emotionaler Verletzungen gehen.
Je nach Tiefe der vorangegangenen Prozesse kann sich das Gefühl, neugeboren zu sein, einstellen, welches immer mit großer Dankbarkeit und Freude einhergeht, infolgedessen sich Ruhe, Weite und Frieden weiter vertiefen.
ab 12. Dunkeltag
Personale und transpersonale Erfahrungen wechseln sich ab, wobei transpersonale Erfahrungen zunehmen. Klarheit, innere Ruhe und innerer Frieden stabilisieren sich.
Die Träume und Erfahrungen spiegeln den gegenwärtigen Seelenzustand in großer Klarheit wieder; sodass nichts mehr gedeutet werden braucht; es ist auch nicht sinnvoll, dies zu tun.
Die Tiefe der Dunkelheit nimmt weiter zu und kann auch lebendig oder wesenhaft erscheinen. Es kommt zu länger anhaltenden Ich-Bin-Phasen.
Der wertend-urteilende Verstand mit seinen verinnerlichten Konzepten verliert an Bedeutung bzw. kommt vollständig zur Ruhe. Im gleichen Maße lösen sich Ängste auf immer tieferen Ebenen zunehmend auf. Gleichermaßen können zutiefst berührende Lichterfahrungen gemacht werden. Es ist, als ob die Dunkelheit zunehmend „durchlichtet“ wird. Zuvor verborgene Wahrheiten offenbaren sich ungeschminkt. Die Energien im Körper fließen freier; die Batterien laden sich auf. Der Körper fühlt sich energetischer und lebendiger an.
Das Herz öffnet sich weiter und strahlt eine Liebe aus, die die gewöhnliche menschliche Liebe übersteigt. Bewusstseinszustände, in denen in innerem Frieden, Güte, Wahrhaftigkeit, Mitgefühl, Weisheit und bedingungsloser Liebe verweilt wird, werden häufiger und länger. Die Körperzellen, das Fühlen – im Grunde das ganze Wesen – richten sich mehr und mehr nach dem Göttlichen aus. Die Kern-Energie kann klarer wahrgenommen werden.
Die Licht- und Dunkelkräfte, das Prinzip von Yin und Yang, können erfahren werden. Mit zunehmender Dauer der Dunkelzeit nimmt uns „etwas“ mit in eine umfassende Bewegung, ein immer tieferes Eintauchen in eine zeitlose Ewigkeit, in den Urgrund des Seins; erfahren kosmischen Bewusstseins. Jegliche Vielfalt lässt sich auf das Eine zurückführen; es ist vollkommen klar: Alles ist EINS.
Tiefe Erkenntnisse und Einsichten führen zu einer umfassenderen Weltsicht. Zunehmende Klarheit über den Schöpfungsprozess, die eigene Seelenaufgabe, die Verantwortung in der Welt. Es ist, als würde die liebevoll elterlich warme Fürsorge, die normalerweise dem Nachwuchs gewidmet ist, sich auf alle Wesen, auf die Erde und das gesamte Universum ausdehnen.
Je länger der Aufenthalt im Dunkelraum ist, umso tiefer und nachhaltiger sind die Veränderungen in der Psyche und im Körper. Der Bewusstseinsschwerpunkt kann mehr auf einer höheren Seins-Ebene verankert werden, sodass die Qualitäten dieser sich verkörpern und auch im Alltagsbewusstsein gelebt werden können. Das bedeutet, der Mensch denkt, fühlt und handelt aus einem höheren Bewusstsein heraus. Mit größerer Liebe, Güte, Klarheit, Weisheit und tieferem Mitgefühl für alle Wesen.
Nach dem Dunkelretreat gilt es, die Erfahrungen und Erkenntnisse in den Alltag zu integrieren.
Überblick über mögliche Veränderungen / Transformationsprozesse im Dunkelretreat
- (stabilere) Beziehung zwischen Erwachsenem-Ich und Innerem Kind als auch zwischen der Persönlichkeit und der Seelendimension
- psychische und physische Entspannung durch das Nachnähren kindlicher Bedürfnisse durch das eigene Erwachsenen-Ich; Heilung des Inneren Kindes
- Erkenntnis und Wandlung von blockierenden Glaubenssätzen und Emotionen
- mehr psychische Stabilität und physische Gesundheit durch Heilung und Integration von persönlichem und kollektivem Trauma
- mehr Kompetenz, eigene Energie von Fremdenergie unterscheiden zu können
- Wahrnehmung des körpereigenen Energiefeldes und der Energiefelder um uns herum
- ausgeglichener und gelassener gegenüber Herausforderungen
- sich lebendiger fühlen; mehr Staunen und Freude im Alltag
- Ausrichtung auf den eigenen Weg
- eigenen Standpunkt bilden und vertreten können
- eigene Grenzen kennen und beachten; gesunde Grenzen setzen können
- liebevollerer Umgang mit sich selbst und anderen Menschen und Wesen
- tiefere Verankerung im Körper und stabilere Erdung
- Bewusstsein über körperlich ablaufende Prozesse
- Mehr Einklang von Sprache und Handeln
- Auflösung der konditionierten Persönlichkeit und innerer Grenzen
- Fähigkeiten wie Telepathie, Hellsehen, Hellhören, Hellfühlen, luzides Träumen
- Erkenntnis des wahren Selbst und der Seelenaufgabe
- Herzöffnung und innere Reife
- Zugang zu höheren Bewusstseinsdimensionen
- erweiterte Wahrnehmung, wachere Aufmerksamkeit und Bewusstheit
- Gewahrsein lichtvoller Ebenen und höherschwingender Wesen
- Erwachsener Sein; mehr Klarheit, Liebe, Güte, tiefes Mitgefühl, Wahrhaftigkeit, Verantwortungsbewusstsein, innere Freiheit, Weisheit, innerer Frieden
Ein Mensch, der nach einem längeren Aufenthalt im Dunkelraum wieder ins Licht tritt, hat strahlende Augen und eine hohe Präsenz.
Literatur
Chia, Mantak (2013): Dunkelraum: Moderne Techniken der Erleuchtung durch Dunkelheit
Glanert, Bharati Corinna (2017): Dunkelretreat – eine spannende Reise zur Quelle des Seins
John, Saskia (2012): In den Tiefen meiner Seele: Erfahrungen in völliger Dunkelheit
John, Saskia – Neuauflage (2016): Grenzerfahrung Dunkelretreat: In den Tiefen meiner Seele
John, Saskia ( 02/2022): Im Dunkel-Retreat: 26 Tage Dunkelheit – Ein Bewusstseins- Experiment
John, Saskia und Fröhlich, Gabriele; Englische Kurzfassung der dt. Ausgabe (2013): Retreat Into Darkness: A Path To Light
John, Saskia und Fröhlich, Gabriele; Englische Langfassung der dt. Ausgabe (2014): In The Depths of my Soul: Experiences in Complete Darkness
Kalweit, Holger (2004): Dunkeltherapie: Die Vision des inneren Lichts
Kalweit, Holger (2011): Lichte Träume • In der Dunkeltherapie geträumt: Ein Hand- und Übungsbuch für Traumdeuter mit 120 nächtlichen Einweihungsvisionen
Kalweit, Holger (2017): Seelenflüge. Außerkörperliche Reisen in der Dunkeltherapie
Klippstein, Nils (2020): Multidimensionale Evolution: Energetische Schattenarbeit und Dunkelretreat
Lowenthal, Martin (2004): Dunkelraum Retreat. Der direkte Weg zum Licht im Innern
Dr. Porep, Rüdiger et al. (2014): Dunkelretreat: Praxis des inneren Weges Band 1
Schlage, Bernhard (2016): Eintauchen in die Unendlichkeit: Über schamanische Arbeit mit Träumen während des Aufenthaltes in völliger Dunkelheit
Wiegand, Arnold E. (2018): 49 Tage Dunkelretreat – Das innere Licht erleben
Englische Zusammenfassung Transformationsprozesse im Dunkelretreat
Transformation processes in the dark retreat
Connecting what is separated – healing wounds – BEING
Summary:
A dark retreat is a voluntary conscious retreat into a completely darkened space to embark on an inner journey of exploration for the purpose of self-experience and realization of the true nature of reality.
The stay in the dark room naturally heals and transforms the conditioned psyche and physique through deep realizations gained through experience. Like an onion, everything that is known to the conditioned ego and to which it clings is dissolved layer by layer. Parallel to this, the core energy – that which the human being is in the innermost part of his being, in the depth of his heart – becomes more visible, more tangible and more livable again.
A longer stay in the dark space can make the person grow beyond himself and let the humanity in the person blossom to full maturity. All levels (spiritual, mental, emotional, physical) come into a natural order. The true self can take over the leadership in the person more and create a peaceful, compassionate reality characterized by unconditional love, which is in harmony with the higher cosmic order.
Keywords: Dark retreat, inner child healing, personality development, dimensional change, true self, God experience, grace