„Leg doch nicht alles auf die Goldwaage“ – Wie verletzende Elternsätze Gefühle ausbremsen und Verbindung erschweren

Verletzende Elternsätze: Kleines Mädchen ist verunsichert.

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Einführung

Verletzende Elternsätze hinterlassen oft Spuren, lange bevor sie überhaupt bewusst wahrgenommen werden. Sie schleichen sich in die kindliche Seele ein – manchmal ganz nebenbei, scheinbar harmlos. Einer dieser Sätze, der vielen vertraut ist, lautet: Leg doch nicht immer alles auf die Goldwaage.

Häufig fällt er in Momenten, in denen eine Bemerkung beim Gegenüber etwas auslöst – Irritation, Verunsicherung oder Schmerz. Doch anstatt Raum für ein echtes Gespräch zu öffnen, bremst dieser Satz Gefühle aus und lenkt die Aufmerksamkeit weg vom Inhalt – hin zur vermeintlichen Überempfindlichkeit des anderen.

Was zunächst als gut gemeinte Klarstellung erscheint, kann sich schnell in eine Abwertung emotionaler Reaktionen verwandeln. Doch welche Botschaft bleibt tatsächlich hängen? Wie wird diese Botschaft insbesondere von Kindern wahrgenommen? Welche Auswirkungen haben solche Sätze auf die Beziehung? Und welche Worte könnten stattdessen Raum für echte Verbindung schaffen? Genau darum geht es in diesem Beitrag.

Warum Eltern verletzende Dinge sagen – ohne es zu wollen

Sätze wie „Leg doch nicht alles auf die Goldwaage“ entstehen oft aus einem inneren Bedürfnis nach Ruhe, aus dem Wunsch, eine Diskussion zu vermeiden, oder aus Überforderung. Auch wenn die Absicht des Erwachsenen möglicherweise eine andere war – die Wirkung bleibt.

Hinter solchen Aussagen verbirgt sich selten echte Leichtigkeit. Vielmehr schwingen stille Appelle mit wie: Nicht so genau hinschauen. Nicht hinterfragen. Nicht ernst nehmen, was gesagt wurde – auch dann nicht, wenn es verletzt hat.

Oft transportieren solche Sätze unterschwellige Botschaften wie:

„Du bist zu empfindlich.“

„Das war doch nicht so gemeint.“

„Ich will mich nicht damit auseinandersetzen.“

„Ich übernehme keine Verantwortung für meine Worte.“


In dieser Atmosphäre wirken Gefühle nicht willkommen. Nachfragen erscheinen als störend. Und Nähe – vor allem bei sensiblen Themen – wird erschwert.

Verletzende Elternsätze entstehen nicht aus böser Absicht. Häufig liegen ihnen eigene Unsicherheit, fehlende Klarheit oder mangelnde Bereitschaft zugrunde, sich mit der eigenen Wirkung auseinanderzusetzen.

Für Kinder bleibt dabei oft unklar, wann Worte gelten – und wann nicht. Diese Unbeständigkeit kann verunsichern und dazu führen, dass sie sich zurückziehen,  sich anpassen oder beginnen, den eigenen Gefühlen und der eigenen Wahrnehmung zu misstrauen.

Verletzende Elternsätze – die leisen Folgen

Diese unterschwelligen Botschaften kommen bei Kindern an – selbst wenn sie unausgesprochen bleiben. Gerade in sensiblen Momenten spüren sie intuitiv, was mitschwingt – und interpretieren das Geschehen mit ihrem kindlichen Verstand, beispielsweise so: 

„Ich bin zu viel.“
„Meine Fragen sind falsch.“
„Was ich fühle, ist nicht richtig.“
„Was ich denke, spielt keine Rolle.“

Diese Doppeldeutigkeiten irritieren und verunsichern emotional. Was bleibt, ist ein mit Schuld gekoppelter Glaubenssatz, z. B.: „Ich liege falsch. Ich sollte lieber nicht nachfragen.“

Mit der Zeit entsteht daraus ein erlerntes Verhalten, das dem inneren Schutz dient: Sich anpassen. Still sein. Bloß keine Wellen schlagen. Gefühle zurückhalten, um nicht erneut an Grenzen zu stoßen – damit es nicht noch schlimmer wird

So entwickelt sich ein Muster, das die Verbindung zum eigenen Erleben und zu den eigenen Bedürfnissen schwächen kann – und oft bis ins Erwachsenenleben nachwirkt.

Diese Alternativen schaffen echte Verbindung

Bevor der Satz „Leg doch nicht alles auf die Goldwaage“ über die Lippen kommt, kann ein kurzer Moment des Innehaltens und Reflektierens viel verändern:

Wie wirkt meine Aussage auf mein Gegenüber?
Was schwingt zwischen den Zeilen mit?
Was ist mein Motiv, den Satz sagen zu wollen?

Manche Fragen öffnen einen Raum – nicht zur Abwehr, sondern zur Begegnung:

„Was hat dich daran berührt?“
„Wie ist das, was ich gesagt habe, bei dir angekommen?“
„Was brauchst du gerade von mir?“
„Was brauche ich gerade (von mir)?“


Solche Worte laden ein – zu Ehrlichkeit, Mitgefühl und einem Gespräch auf Augenhöhe.
Ein Gespräch, in dem niemand klein gemacht oder übergangen wird.

Fazit – Wenn Worte zu Wegweisern werden

Sprache kann stärken oder verunsichern. Sie kann Türen öffnen – oder sie leise schließen. Besonders im Umgang mit Kindern hinterlassen verletzende Elternsätze Spuren. Oft unsichtbar, aber tief. Und manchmal ein Leben lang spürbar.

Doch Veränderung beginnt nicht mit Schuldzuweisungen. Auch nicht mit perfekten Antworten.

Sondern dort, wo Erwachsene innehalten.
Wo sie bereit sind, eigene Muster zu erkennen – und ihre Wirkung zu hinterfragen. Dort, wo das Zuhören wichtiger wird als das schnelle Abwiegeln.
Und Beziehung Raum bekommt – gerade dann, wenn es schwierig wird.

Wenn dich das Thema berührt oder du noch tiefer eintauchen möchtest:
In meinem Video „Leg doch nicht alles auf die Goldwaage! Warum dieser Satz so viel auslöst & was er bewirkt (Teil 21)“ beleuchte ich, welche Dynamiken hinter dieser oft beiläufigen Redewendung stecken – und welche inneren Prozesse sie anstoßen kann.

Weitere hilfreiche Beiträge zum Thema: 

YouTube-Playlist „Dialoge zwischen Eltern und Kind“

YouTube-Playlist „Doppelbotschaften in Beziehungen. Wie kannst Du eine echte Bitte von einer Forderung unterscheiden?“

Beitragsserie „Worte mit Wirkung“

 

Beitragsbild: Yousef Espanioly / Unsplash

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Saskia John

Über die Autorin:

Saskia John wurde in der ehemaligen DDR geboren und studierte dort Veterinärmedizin. Nach der Wende absolvierte sie eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. Seit 1994 arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis. Sie unterstützt Menschen auf ihrem persönlichen Weg zu Heilung und spirituellem Wachstum.
Dabei greift sie auf langjährige Erfahrung in der Trauma Heilung, Inneren-Kind-Arbeit und in der Begleitung von Dunkelretreat-Prozessen zurück. Ihre Arbeit ist geprägt von Reisen nach China und Japan, die sie mit fernöstlichen Heilmethoden in Berührung kommen lassen.
Das Dunkelretreat ist ihr Herzens- und Forschungsprojekt. Sie selbst verbrachte insgesamt 62 Tage in absoluter Dunkelheit. „26 Tage Dunkelheit – Ein Bewusstseins-Experiment“ ist ihr zweites Buch.

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