Einführung
Sprechen wir von Entschuldigung, Reue, Verzeihung oder Vergebung, ist die wahre Bedeutung hinter diesen Begriffen nicht zwangsläufig für alle Menschen klar. Häufig kommt es zu Verwechselungen oder gar Missverständnissen.
Mit dem richtigen Verständnis über ihre Bedeutung und der entsprechenden Handlung tragen sie jedoch dazu bei, Beziehungen zu vertiefen, zu heilen und wieder zu mehr Nähe und einem lebendigen Austausch in der Beziehung zurückzufinden.
Um die Definition, Unterscheidung und Einordnung von Vergebung und Verzeihung in den Kontext des inneren Wachstums- und Heilungsprozesses geht es in diesem Beitrag.
Definitionen und Bedeutung
Entschuldigung
Eine Entschuldigung ist eine Äußerung von Reue oder Bedauern für ein Fehlverhalten oder eine Verletzung. Es wird um Vergebung für ein begangenes Unrecht gebeten.
Die Entschuldigung beinhaltet die Einsicht in einen Fehler oder eine Verletzung und wird von der Person ausgesprochen, die den Fehler begangen hat.
Sie kann verbal oder schriftlich erfolgen und drückt den Wunsch aus, das Verhalten zu korrigieren und es in Zukunft zu vermeiden.
Beispiel: “Es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe. Es wird nicht wieder vorkommen.“
Die Person, die um Entschuldigung gebeten wird, kann diese Bitte annehmen oder ablehnen. Wenn du die Entschuldigung des anderen annimmst, bedeutet das, dass du der Person ihr Fehlverhalten oder ihre Schuld verzeihst und bereit bist, den Kontakt und die Beziehung zu ihr fortzusetzen, ohne dass das Fehlverhalten ein Hindernis für dich darstellt.
Das bedeutet, du bist im Frieden mit der Entschuldigung und hast keine negativen Gefühle bezogen auf den Sachverhalt mehr. Du trägst dem anderen, der dich verletzt hat, sein Verhalten nicht nach, bist weder verärgert noch grimmig oder aufgebracht, brauchst keine Wiedergutmachung mehr und willst den anderen auch nicht bestrafen, z. B. durch Rückzug.
Reue
Reue ist ein Gefühl des Bedauerns über ein begangenes Unrecht oder einen Fehler, das von der verursachenden Person empfunden wird.
Reue ist eine innere Anerkennung des Schadens, den man verursacht hat. Es besteht ein Wunsch nach Übernahme von Verantwortung, nach Wiedergutmachung des Schadens und nach Verbesserung des eigenen Verhaltens.
Verzeihung
Die Verzeihung ist ein Akt des Vergebens. Verzeihung bedeutet, jemandem seinen Fehler oder seine Verletzung nachzusehen und ihm nicht länger böse zu sein. Das heißt, du hast keinen Schuldvorwurf mehr gegenüber der Person, von der du dich verletzt fühlst.
Verzeihen ist ein Akt inneren Loslassens von Groll und Feindseligkeit – das bedeutet: du hast dich dem Schmerz in dir zugewandt und diesen in innerer Heilarbeit aufgelöst.
Verzeihen ist also hauptsächlich ein tiefgreifender innerer Heilungsprozess emotionaler Wunden. Wenn das geschieht, gibt es im Grunde auch nichts mehr zu verzeihen, da deine Wunde vollständig geheilt ist. Dann kannst du, wenn du magst und es für dich angemessen ist, die Beziehung mit der Person vom Herzen her fortsetzen. Und der andere wird es fühlen, dass von deiner Seite aus nichts mehr zwischen euch steht.
Verzeihen beinhaltet also die Qualität von bedingungslos – es gibt keinerlei Bedingung mehr an den Täter, du bist in echtem inneren Frieden. Verzeihen beinhaltet auch das Bewusstsein, dass der Täter für sein Handeln verantwortlich ist.
Der Akt der Verzeihung wird normalerweise von der Person ausgesprochen, die verletzt wurde. Wenn jemand um Verzeihung bittet, zeigt er Reue und hofft auf Gnade und Entschuldigung. In diesem Moment öffnet sich die Möglichkeit für einen Neuanfang und die Wiederherstellung der gestörten Beziehung. Verzeihen ist ein Akt des Herzens – es ist Menschlichkeit, durchzogen von tiefem Mitgefühl.
Vergebung
Die Vergebung geht über das Verzeihen hinaus und beinhaltet einen tieferen Akt der Akzeptanz und des Mitgefühls.
Eine Vergebung wird von der Person ausgesprochen, die verletzt wurde. Vergeben bedeutet, die emotionale Wunde in dir so tief zu heilen, dass eine tiefere Ebene der Verbundenheit und des Verständnisses für dich und andere erreicht wird. Vergebung ist eine bewusste Entscheidung, nicht nur die emotionale Wunde in dir zu heilen, sondern auch aktiv Frieden zu schaffen und die Beziehung zu heilen – in dir und zu anderen.
Vergebung ist also kein Akt des Vergessens, Verdrängens oder Schönredens, sondern ein bewusster und tiefgreifender emotionaler Heilungsprozess, der in echtem inneren Frieden mündet.
D. h., du bleibst nicht in deinem konditionierten Denken und deinen Emotionen gefangen. Der Täter ist vollkommen frei, es fließen keine emotionalen Ladungen mehr in seine Richtung.
Echter Frieden und wahre Vergebung kommen oft erst zustande, wenn wir uns selbst und anderen vollständig vergeben können, ohne Bedingungen oder Vorbehalte.
Dies erfordert häufig einen tiefen inneren Prozess der Selbstreflexion, der Verarbeitung von Emotionen und der Übernahme von Verantwortung für unsere eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen.
Vergebung und Versöhnung: Herausforderungen und häufige Missverständnisse
Machtungleichgewicht und Abhängigkeit
Der Akt der Vergebung wird manchmal unbewusst dazu genutzt, um sich in eine überlegene Position zu bringen. Das führt zu einem Machtungleichgewicht zwischen den Parteien, ohne dass es diesen bewusst ist.
Praxistipp:
Um ein eventuelles Machtgefälle beim Vergeben festzustellen, eignet sich die folgende kleine Übung:
Schließe kurz die Augen und stelle dir eine Person vor, der du vergeben möchtest. Wenn du die Person klar vor dir siehst, dann sage der Person innerlich, dass du ihr vergibst.
Wie fühlst du dich mit Blick auf die Person?
- groß, klein oder gleichgroß?
- überlegen oder unterlegen?
- oder auf Augenhöhe?
Wie nimmst du den anderen wahr?
- groß oder klein dir gegenüber?
- Oder auf Augenhöhe?
Achte dabei darauf, wohin deine Augen schauen: Schauen sie nach oben, nach unten oder gerade aus?
Wenn die Augen von unten nach oben schauen, fühlst du dich kleiner als der andere und bist nicht auf Augenhöhe. Damit machst du den anderen in dir selbst „groß“.
Wenn die Augen von oben nach unten, also auf den anderen herabschauen, bist du auch nicht auf Augenhöhe, sondern du bringst dich über den Akt der Vergebung in eine überlegene Position. D. h., du überhebst dich über den anderen, machst den anderen klein und dich groß. Der andere ist dann von dir abhängig, ob du ihm verzeihst oder nicht.
Wer Macht nutzt, um einen anderen Menschen in Abhängigkeit von sich zu halten, befindet sich innerlich ebenso in einer Abhängigkeit und fühlt sich genauso machtlos wie sein Gegenüber. Hinter diesem Verhalten steckt eine tief verdrängte emotionale Verletzung, die in der überlegenen Position nicht gefühlt wird.
In dem Fall wäre das keine heilsame Vergebung in dem Sinne, wie ich es oben beschrieben habe, sondern Anmaßung. Diese führt nicht zu Frieden, sondern zu weiterer Anpassung und weiterem Stress in der Beziehung.
Beispiel:
Nach einem Konflikt entschuldigt sich eine Person bei der anderen, aber die Bitte um Vergebung wird von der verletzten Partei abgelehnt.
Die Person, die sich entschuldigt hat, könnte sich nun unterlegen und abhängig fühlen und verstärkt um Vergebung bitten, um die Beziehung wiederherzustellen.
Damit kommt die Person jedoch in eine Art Bettelfunktion, während der Vergebende sich groß und mächtig fühlt und damit kompensiert, dass er sich tief in seinem Inneren genauso klein, ängstlich und ohnmächtig fühlt, wie die Person, die um Vergebung bettelt.
Vergebung und Versöhnung gehören zusammen
Ein weiteres Missverständnis besteht darin, dass Vergebung und Versöhnung automatisch zusammengehören.
Vergebung kann eine persönliche Entscheidung sein, die unabhängig von der Beziehung zu der anderen Person getroffen wird, während Versöhnung den Wunsch nach einer Wiederherstellung der Beziehung und des Vertrauens impliziert.
Beispiel:
Eine Person kann einer anderen vergeben, die sie verletzt hat, und dennoch entscheiden, dass eine Versöhnung und Wiederherstellung der Beziehung nicht möglich oder gesund ist.
Gesunde Grenzen und Selbstachtung
Ein drittes Missverständnis besteht darin, dass Verzeihen und Vergebung bedeutet, schädliches Verhalten weiterhin zu tolerieren oder die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu vernachlässigen.
Beispiel:
Nachdem jemand einer anderen Person verziehen hat, kann es wichtig sein, klare Grenzen zu setzen und sicherzustellen, dass das schädliche Verhalten nicht wiederholt wird, um die eigene Selbstachtung und Integrität zu wahren.
Unauthentische Vergebung und Versöhnung
Eine weitere Herausforderung ist die Authentizität der Vergebung. Es gibt eine Art unehrliche Vergebung, bei welcher Vergebung für Verdrängung genutzt wird.
Ein Beispielsatz dafür wäre:
„Ich vergebe dir, weil ich endlich Frieden finden möchte.“
Der Satz drückt inneren Unfrieden und kein echtes Vergeben aus. Die Person ist nicht im Frieden, sie will ihn ja noch finden – d.h., sie hat noch keinen Frieden im Herzen. Da gibt es noch einen Groll gegen die andere Person, der jedoch verdrängt wird, sodass es dann so aussieht, als hätte ich vergeben.
Jemand, der wirklich den inneren Prozess von Vergebung durchlaufen hat, würde so nicht sprechen.
Vergebung und Verzeihung: 5 Situationen, in denen man nicht verzeihen sollte
Wiederholte Verletzungen
Wenn jemand wiederholt die gleiche Art von Verletzung verursacht, kann es schwierig sein, immer wieder zu vergeben. Manchmal ist es besser, sich von solchen Beziehungen oder Situationen zu distanzieren.
Fehlende Reue
Wenn der Täter keine Reue zeigt oder seine Handlungen nicht bereut, kann Verzeihen schwierig sein. Ohne echte Reue besteht die Gefahr, dass ähnliche Verletzungen erneut auftreten.
Schwere Vertrauensbrüche
Bei tiefgreifenden Vertrauensbrüchen wie Untreue oder Betrug kann das Verzeihen eine enorme emotionale Belastung sein. Es ist wichtig, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu entscheiden, ob eine zweite Chance sinnvoll ist.
Persönliche Grenzen
Jeder Mensch hat individuelle Grenzen und Schwellen, was er oder sie verzeihen kann. Es ist in Ordnung, diese Grenzen zu respektieren und nicht über sie hinauszugehen.
Selbstvergebung
Manchmal ist es schwieriger, sich selbst zu vergeben als anderen. Wenn wir uns selbst nicht verzeihen können, kann dies zu anhaltendem Groll und innerem Konflikt führen.
Insgesamt ist Verzeihen ein persönlicher Prozess, der von vielen Faktoren abhängt. Es ist wichtig, auf die eigene Intuition zu hören und zu entscheiden, was für das eigene Wohlbefinden am besten ist.
Fazit
Eine Entschuldigung drückt die Einsicht in einen Fehler und den Wunsch nach Verhaltensänderung aus. Sie ist der erste Schritt zur Heilung und zur Wiederherstellung der Beziehung.
Das Verzeihen ist oft ein erster Schritt auf dem Weg zur Heilung emotionaler Wunden und zu innerem Frieden, während Vergebung ein fortgeschrittener und tiefgreifender Akt ist, der eine Versöhnung und Heilung der Beziehung zur Folge hat.
Ein klares Verständnis dieser Begriffe ermöglicht es, uns selbst besser kennenzulernen und unsere eigenen Handlungen und Motivationen zu reflektieren. Dadurch können wir uns bewusster für unser Verhalten entscheiden und aktiv daran arbeiten, uns weiterzuentwickeln und unser volles Potenzial entfalten.
Ein korrektes Verständnis der Bedeutung von Verzeihung und Vergebung trägt dazu bei, das Fundament für tiefe und erfüllende zwischenmenschliche Beziehungen zu legen und uns auf dem Weg zu persönlichem Wachstum und spiritueller Heilung zu unterstützen.
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