Kind trödelt – „Beeil dich!“ Stressfrei durch den Familienalltag

Mein Kind trödelt - was tun? Aussagen wie "Du musst dich beeilen, wir kommen sonst zu spät!" vermitteln dem Kind, dass es für die Verspätung mitverantwortlich ist, obwohl es noch nicht die Fähigkeit zur Selbstorganisation besitzt.

Inhalt

Einführung

Ein Kind sitzt in seinem Zimmer, umgeben von Spielzeug, versunken in seine eigene Welt. Doch dann ruft eine Stimme aus dem Flur: „Du musst dich beeilen, wir kommen sonst zu spät!“ Der Moment der Ruhe ist vorbei, die Hektik beginnt.

Das Kind schaut auf, zögert – und in seinen Augen spiegelt sich mehr als nur die Eile des Augenblicks. Es fühlt sich getrieben, vielleicht überfordert. Immer wieder stehen Eltern vor der Frage: „Mein Kind trödelt – was tun?“ Doch was, wenn hinter dem vermeintlichen Trödeln etwas ganz anderes steckt?

Die Botschaft hinter den Worten „Du musst dich beeilen, wir kommen sonst zu spät!“

Aussagen wie „Du musst dich beeilen, wir kommen sonst zu spät!“ vermitteln dem Kind, dass es für die Verspätung mitverantwortlich ist, obwohl es noch nicht die Fähigkeit zur Selbstorganisation besitzt. Es nimmt den Druck auf, ohne die Situation wirklich steuern zu können.

Doch statt das Kind zur Eile anzutreiben, lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen:

Welche Botschaft sende ich meinem Kind gerade – und was kommt wirklich bei ihm an?

Denn oft sagt unsere Körpersprache mehr als unsere Worte. Stehen wir unter Zeitdruck, vermitteln wir unbewusst etwas ganz anderes, als wenn wir entspannt sind. Und genau das prägt, wie unser Kind solche Momente erlebt – und wie es später selbst mit Stress umgeht.

Kind trödelt – was tun? Warum unser Tempo nicht ihres ist

Kinder lernen durch Wiederholung – und in ihrem eigenen Tempo.

Wenn ein Kind langsamer ist, als die Eltern es erwarten, wird das schnell als Trödeln interpretiert. Doch das langsamere Tempo des Kindes bedeutet nicht, dass es absichtlich provoziert. Ein Kind trödelt nicht. Es ist in seiner Welt vertieft, folgt einem anderen inneren Rhythmus – einem natürlichen, kindlichen. Das ist vollkommen normal!

Doch wenn Erwachsene ungeduldig werden, spürt das Kind diese Ungeduld nicht nur, es fühlt sich damit auch unsicher. In solchen Momenten fehlt die liebevolle sanfte Ausstrahlung, die es braucht, um sich sicher und angenommen zu fühlen. Ein jüngeres Kind wird sich innerlich zurückziehen und versuchen, sich dem Tempo der „Großen“ anzupassen – nicht aus Verständnis, sondern aus Angst, sonst nicht liebenswert zu sein.

Ältere Kinder ziehen daraus oft diese Schlussfolgerung: So wie ich bin, bin ich nicht richtig. Ich muss schneller, angepasster oder anders sein, um akzeptiert zu werden. Und genau hier beginnt das Muster, das sie möglicherweise ein Leben lang begleiten wird.

Erwartungsdruck

Die elterlich-genervte Aufforderung, sich zu beeilen, kann im Kind wie ein Echo widerhallen: „Du bist nicht schnell genug. Beil dich!“ Wenn solche Situationen immer wieder auftreten, kann sich im Unterbewusstsein des Kindes der Glaube festsetzen: „Ich bin nicht gut genug, so wie ich bin.“

Durch die wiederholten „Beeil-dich-Situationen“ kann im Kind der Eindruck entstehen, sich ständig anpassen zu müssen, um Anerkennung zu erhalten oder die Harmonie zu wahren bzw. wiederherzustellen.

Diese ständige Anpassung, in der das Kind sich anders verhalten muss – eben schneller – , als es von sich aus tun würde, kann zu einer inneren Überforderung führen. Der dadurch entstehende Druck kann Selbstzweifel nähren und die Leichtigkeit sowie Unbeschwertheit der Kindheit allmählich trüben.

Langfristige Folgen

Der auf das Kind ausgeübte Druck kann tiefgreifende Auswirkungen haben. Er kann Angst erzeugen, die eigene Motivation schwächen oder zu Anpassungsverhalten führen, bei dem eigene Bedürfnisse – wie dem eigenen Rhythmus zu folgen – immer wieder zurückgestellt werden. Das Kind lernt, sich mehr auf die Erwartungen anderer zu konzentrieren, statt auf die eigenen Bedürfnisse zu hören.

Dies kann dazu führen, dass das Kind – und später als Erwachsener – immer in Eile ist, keine Ruhe findet und durch das eigene Leben rennt. Die Angst vor der Reaktion der Eltern – die genervte Ermahnung, nicht schon wieder zu trödeln und sich mehr zu beeilen, treibt das Kind an, ohne dass es sich dessen bewusst ist. Die ständige Angst im Untergrund, nicht schnell genug zu sein, bleibt tief im Inneren verankert. Diese Belastung kann sich z. B. in Stresssymptomen wie Konzentrationsproblemen, Schlafstörungen oder innerem Widerstand äußern.

Wertschätzende Alternativen

Statt „Trödelst du schon wieder! Beeil dich!“ können wertschätzende Alternativen eine förderliche und respektvolle Kommunikation schaffen, die das Kind nicht unter Druck setzt, sondern unterstützt. Es hilft, innezuhalten und zu fragen: Wie kann ich meinem Kind helfen, ohne es zu drängen?

Anerkennung statt Kritik: „Ich sehe, dass du dir Mühe gibst. Manchmal dauert das Anziehen einfach etwas länger. Magst du Hilfe?“

Offene Fragen statt Druck: „Was macht das Anziehen heute Morgen schwierig für dich?“

Positive Anreize statt Eile: „Wenn wir uns beeilen, können wir danach noch ein Buch zusammen lesen.“

Eigenes Verhalten reflektieren: „Jeder hat sein eigenes Tempo. Ich merke, dass ich ungeduldig werde, weil ich pünktlich los möchte. Ich überlege, wie ich unsere Morgenroutine entspannter gestalten kann.“

Verständnis zeigen: „Ich sehe, dass du noch spielen möchtest. Wollen wir eine feste Spielzeit einplanen, bevor wir losgehen?“

Alternativen anbieten: „Du kannst deine Schuhe selbst binden oder ich helfe dir – was fühlt sich heute besser für dich an?“

Gemeinsam planen (bei älteren Kindern): „Wie können wir unseren Morgen so gestalten, dass du genug Zeit hast und wir trotzdem pünktlich loskommen?“ 

Solche Formulierungen können dazu beitragen, dass das Kind sich verstanden und respektiert fühlt, ohne sich gehetzt, gedrängt, kritisiert, negativ ermahnt oder verurteilt zu erleben. Die wertschätzende Kommunikation fördert das Vertrauen und die positive Entwicklung des Kindes, indem sie Raum für die eigenen Bedürfnisse und das eigene Tempo lässt.

Weitere hilfreiche Ansätze

Individuelle Unterschiede respektieren: Jedes Kind hat sein eigenes Tempo und sollte nicht mit anderen verglichen werden. Ein respektvoller Umgang mit den eigenen Rhythmen fördert das Selbstwertgefühl und die individuelle Entwicklung.

Positive Verstärkung nutzen: Kleine Fortschritte wertzuschätzen stärkt das Selbstvertrauen eines Kindes und motiviert es, sich weiter zu entwickeln. Anstatt auf das Fehlen von Ergebnissen zu schauen, wird der Weg geachtet und unterstützt.

Vorbild sein: Indem Erwachsene zeigen, wie sie mit ihren eigenen Herausforderungen umgehen, vermitteln sie dem Kind Sicherheit und ein Gefühl der Verlässlichkeit. Das Kind lernt, dass auch Herausforderungen zum Leben gehören und gemeistert werden können.

Fazit – Raum für Entwicklung statt Zeitdruck

Ein Kind trödelt nicht. „Trödeln“ ist ein Urteil, das wir Erwachsenen über ein Kind fällen, das aufgrund seiner Entwicklungsstufe natürlicherweise einen langsameren Rhythmus hat als ein Erwachsener. Kinder brauchen Zeit, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln – und sie brauchen das Gefühl, dass ihr Tempo in Ordnung ist. Ständiger Druck, sich zu beeilen, kann Unsicherheiten säen, während Geduld und wertschätzende Kommunikation das Selbstvertrauen stärken.

Wenn wir den Kindern Raum lassen und ihre eigene Geschwindigkeit respektieren, fördern wir ihre Entwicklung auf eine Weise, die sie stärkt, anstatt sie in Zweifel zu stürzen.

Indem wir innehalten, bewusst agieren (statt zu reagieren) und den Alltag entspannter gestalten, schenken wir unseren Kindern nicht nur Momente mit mehr Gelassenheit, sondern auch die Möglichkeit, sich in ihrem eigenen Rhythmus entfalten zu dürfen.

Meine Reflexion zum aktuellen Beitragsthema findest du auch in meinem Video DIE LEISEN NARBEN DER EILE: Du bist viel zu langsam! Du musst dich mehr beeilen! (Teil 18):

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Saskia John

Über die Autorin:

Saskia John wurde in der ehemaligen DDR geboren und studierte dort Veterinärmedizin. Nach der Wende absolvierte sie eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. Seit 1994 arbeitet sie in ihrer eigenen Praxis. Sie unterstützt Menschen auf ihrem persönlichen Weg zu Heilung und spirituellem Wachstum.
Dabei greift sie auf langjährige Erfahrung in der Trauma Heilung, Inneren-Kind-Arbeit und in der Begleitung von Dunkelretreat-Prozessen zurück. Ihre Arbeit ist geprägt von Reisen nach China und Japan, die sie mit fernöstlichen Heilmethoden in Berührung kommen lassen.
Das Dunkelretreat ist ihr Herzens- und Forschungsprojekt. Sie selbst verbrachte insgesamt 62 Tage in absoluter Dunkelheit. „26 Tage Dunkelheit – Ein Bewusstseins-Experiment“ ist ihr zweites Buch.

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